Die Kanzel in der Alten Mahlsdorfer Pfarrkirche ist Ende 2022 / Anfang 2023 durch die Restauratorin Frau Thiel restauriert worden. Wir können nun wieder viel erkennen, was vorher kaum noch sichtbar war.
Der nachfolgende Text von Frau Rotraut Seimert ist Teil einer Predigt vom 23.8.2020 zum 400. Jahrestag der Kanzel; verÀndert und ergÀnzt am 6.4.2023.
Das Wort âKanzelâ kommt aus dem Lateinischen: cancer und bedeutet Gitter oder Schranke.
Die Kanzel als Lehrstuhl gab es bestimmt schon vor der Reformation, aber mit der Reformation und dem evangelischen Kirchenbau (zuerst in Torgau) erhielt die Kanzel neben Altar und Taufstein einen zentralen Platz. Das Wort, die Predigt, wurde Mittelpunkt des Gottesdienstes.
Unser Mahlsdorf hatte mit Lampert und Christian Distelmeyer evangelische Patronatsherren. Aber in dieser Zeit gab es wahrscheinlich noch keine Kanzel. Diese wurde von einem Enkel Lampert Distelmeyers, nÀmlich von Johann Kötteritz d.J. in Auftrag gegeben. Leider starb er schon 1619, so dass er die Einweihung 1620 nicht mehr erlebte.
Am 12. Juli 1620 erfolgte die erste Predigt von dieser Kanzel. Pfarrer Simon Jahne hat damit die Kanzel in Dienst genommen, wahrscheinlich in Anwesenheit von Mitgliedern der Familie Kötteritz und des Patronatsherren Jakob von Pfuel d.J..
Ich könnte mir vorstellen, dass Pfarrer Simon Jahne die Symbolik der Kanzel erklÀrt hat.
So möchte ich die Symbolik erklÀren.
Am Kanzelkorb erkennen wir 4 Personen, und da ihre Namen darunter stehen, wissen wir also, um wen es sich handelt. Es sind die 4 Evangelisten: MatthĂ€us, Markus, Lukas und Johannes. Weniger erkennbar sind vielleicht die geflĂŒgelten Symbole, die ihnen beigefĂŒgt sind. Diese Symbolik finden wir bei allen Evangelistendarstellungen. Sie geht zurĂŒck auf den Kirchenvater Hieronymus im 4. Jahrhundert, der die Symbole aus Ezechiel (Hesekiel) 1 und der Offenbarung abgeleitet hat.
Es gab mehrere Deutungen, aber die von Hieronymus hat sich durchgesetzt. Sie bezieht sich jeweils auf den Anfang des Evangeliums. Das Symbol fĂŒr MatthĂ€us ist ein geflĂŒgelter Mensch, kein Engel.
Hieronymus sagt: MatthĂ€us ist ein Mensch, der wie ĂŒber einen Menschen zu schreiben beginnt. Das MatthĂ€usevangelium beginnt mit dem Stammbaum Jesu.
Markus hat den Löwen als Attribut. Nach Hieronymus der brĂŒllende Löwe, der in der WĂŒste zu hören ist: âBereitet dem Herrn den Weg.â Lukas hat den Stier als Zeichen. Hieronymus nimmt Bezug auf den Priester Zacharias, den das Los traf, ein RĂ€ucheropfer darzubringen â oftmals ein Stier. Bei Johannes ist es der Adler. Die Schwingen des Adlers steigen in die Höhe. Das Wort kann im höheren Sinne erörtert werden.
Die 4 Evangelisten sind aber auch in die Symbolik der Zahl 4 einzuordnen â 4 als Zahl der Welt.
So ist die UniversalitÀt der Christusbotschaft gemeint, von der die Evangelisten berichten.
UrsprĂŒnglich stand unsere Kanzel nicht an dieser Stelle und hatte noch eine 5. Person, die auf dem Kanzelkorb dargestellt war, nĂ€mlich Mose. Sein Bild ist dem Kohleofen zum Opfer gefallen. Heute ist eine Inschrift angebracht, die darauf hinweist. Ganz sicher war Mose mit den Gebotstafeln dargestellt. Die Mosedarstellung war ursprĂŒnglich in der Mitte, zwischen den Evangelisten. Der Evangelist MatthĂ€us steht nun an seiner Stelle.
Ăber den Evangelisten steht das Spruchband: âSelig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.â (Lukas 11,28)
Die Kanzel ist nicht nur ein VerkĂŒndigungsort, sondern mit ihren Darstellungen selbst VerkĂŒndigung. Das zeigt weiterhin das Spruchband am unteren Rand des Kanzel â oder Schalldeckels: â Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.â Dieses Wort ist der Offenbarung entnommen. In Kapitel 2 und 3 finden wir sieben Sendschreiben an Gemeinden in Kleinasien: Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizea. Und jeder Gemeinde wird am Schluss des Schreibens gesagt: âWer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.â
Der Schalldeckel gehört nicht ursprĂŒnglich zu dieser Kanzel. Wir wissen nicht, woher er kam und wann er hinzugefĂŒgt wurde.
Auf dem Schalldeckel finden wir ein weiteres Symbol: einen Pelikan mit 3 Jungen.
Der Pelikan steht fĂŒr Jesus Christus und seinem Opfertod und fĂŒr das Abendmahl. Jesus Christus verkörpert die Liebe Gottes und in dieser Liebe sind wir besonders miteinander verbunden, wenn wir Abendmahl feiern.
Aber warum der Pelikan? Es gibt eine frĂŒhchristliche Naturlehre des 2. - 4. Jahrhundert, Physiologus genannt. Darin werden u.a. Tiere erklĂ€rt, auf die Bibel bezogen und allegorisch ausgelegt. So zitiere ich den Physiologus ĂŒber den Pelikan;âDer heilige Prophet David singt: Ich gleiche einem Pelikan in der WĂŒste. Der Physiologus erzĂ€hlte vom Pelikan, dass er seine Kinder sehr liebt. Wenn er seine Jungen gebiert, schlagen sie, sobald sie ein wenig herangewachsen sind ihren Eltern ins Gesicht. Die Eltern aber schlagen sie wieder und töten sie. SpĂ€ter jedoch erbarmen sich die Eltern , und nachdem sie drei Tage lang die Kinder, welche sie getötet, betrauert haben, so kommt nach dem dritten Tage die Mutter und öffnet ihre Seite und trĂ€ufelt ihr Blut auf die toten Leiber der Jungen und erweckt sie.
So spricht unser Herr auch bei dem Propheten Jesaias: Ich habe Söhne erzeugt und erhöhet, sie aber sind von mir abgefallen. - Der Schöpfer hat uns erzeugt und wir haben ihn geschlagen, wir haben dem Geschöpfe gedient gegen den Schöpfer. Er kam nun zu der Höhe des Kreuzes, öffnete seine Seite und trĂ€ufelte Blut und Wasser zur Erlösung und zum ewigen Leben, das Blut darum, weil er sprach: Er nahm den Kelch und dankte, das Wasser aber wegen der Taufe der BuĂe.â ( â Der Physiologusâ â Tiere und ihre Symbolik, herausgegeben von Emil Peters; Anaconda â Verlag 2013)
Vielleicht hat man die Deutung aus der Naturbeobachtung abgeleitet, denn bei Kehlkopfpelikanen wird das Gefieder in der Brutzeit im Kehlkopfbereich rot.
Rotraut Seimert