Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie. (Jes 11,6)
Was für eine Friedensvision!
Auch wir träumen von einer anderen Welt, von einer Welt, in der Frieden und Gerechtigkeit herrschen, in der die Schwachen ihr Recht bekommen und Kinder sicher aufwachsen können, ohne Armut, Hunger und Gewalt.
Ebenso hat der Prophet Jesaja solch einen Traum geträumt. Nachdem die Könige Judas und Israels immer wieder ihre Hoffnung auf militärische Kraft gesetzt haben, wird ihm ein neuer Herrscher verheißen. Mit dem Kommen des neuen Königs wird eine alte Geschichte neu erzählt. Was einst im Paradies gemeint war, wird wieder ins Recht gesetzt. Das Böse wird es nicht mehr geben, sondern einen allumfassenden Frieden. Der Kreislauf von Fressen und Gefressen werden ist aufgehoben. Einstige Feindschaften werden überwunden. Alles, was lebt, hat seine Würde, seinen Wert und ein unbestreitbares Lebensrecht. Die Schwächsten und Wehrlosen in jeder Gesellschaft, die Kinder, werden ohne Gefahr aufwachsen können. Eine Geschichte, die sich durch menschliche Schuld immer mehr verdüstert hat, wird wieder von vorne erzählt – aber diesmal zu einem guten Ende hin. Ist das nicht zu viel der Idylle? Zu schön, um wahr zu sein?
Wie haben die Menschen damals Jesajas Worte vom Frieden wohl aufgenommen? Sicher haben manche sich voll Bitterkeit abgewendet, zu verwundet und zu enttäuscht, um noch hoffen zu können. Aber für manche werden diese Worte des Friedens auch gewesen sein wie Wasser des Lebens, das auf dürres Land fällt, damit wieder neues Leben wachsen kann. Manche werden die Worte Jesajas gehört haben als Worte voll Trost und Ermutigung, die die Angst in Schach halten. Sie hatten etwas, das Widerstand leistet gegen die Angst. Sie haben weiter daran geglaubt, dass Gott Frieden schenken kann und schenken wird.
Im Dezember feiern wir Weihnachten, das Fest des Friedens. Jedes Jahr neu lassen wir uns anrühren von dem Frieden, der von dem Kind in der Krippe ausgeht. Und doch ist sicher: Auch unter uns sind Menschen, die entbehren diesen Frieden. In diesem Jahr denken wir an die Menschen in der Ukraine. Für sie ist Frieden so unerreichbar und fern wie für die Menschen, denen der Prophet Jesaja seine Friedensbotschaft ausrichtet.
Passt das zu Weihnachten? Ich denke schon. Auch an der Krippe stehen Menschen, die Frieden entbehren. Menschen, die aus dem Dunkel kommen. Das erste Weihnachtsfest wurde nicht für die Fröhlichen gefeiert. Es fand am Rand statt, in der Dunkelheit und wurde nicht einmal bemerkt von den Satten und von den Menschen ohne Sehnsucht. Das erste Weihnachten fand in einem Land statt, das unter Ungerechtigkeit und Tyrannei litt und sich nicht wehren konnte gegen die Willkür fremder Besatzung. Das erste Weihnachten fand für die Armen statt, für die am Rand, die keine Herberge fanden in ihrer Welt. Die Geschichte von Weihnachten, die zu uns von Frieden spricht, ist eine Geschichte gerade für solche Menschen. An der Krippe ist Platz für Trauer und Einsamkeit, für die Sehnsucht nach Frieden und einem gelingenden Leben. Wo soll denn Platz dafür sein, wenn nicht hier?
Eine friedvolle Weihnachtszeit wünscht Ihnen Pfarrer Frank Grützmann